Fehlende Autonomie führt zu fehlender Motivation. Zu diesem Schluss kommen Richard M. Ryan und Edward L. Deci in ihrer Selbstbestimmungstheorie oder Self-Determination Theory (SDT), die sie an der Universität von Rochester in den USA ab dem Jahr 2000 veröffentlicht haben. Neben einer ausgebauten Erfolgs- Lern- und Flow-Orientierung, kommt unserer Selbstbestimmung also eine weitere entscheidende Rolle zu, wenn es um eine nachhaltige und belastbare Motivation geht.
Aber die Selbstbestimmungs-Theorie ist umfassend und deckt zum Teil auch Themen ab, die wir in diesem Kurs behandeln. Dazu gehören die Flow-Orientierung und die Selbstwirksamkeitserwartung. Die Theorie geht auch auf das Thema der sozialen Verbundenheit ein, die wir hier außen vorlassen.
Und selbst wenn dieser Kurs in seiner Gesamtheit eine Ode an die Selbstbestimmung und die selbstbestimmte Gestaltung unseres Lebens ist, so möchte ich hier mich auf den Anteil der Selbstverantwortung konzentrieren. Und mit dieser Konzentration auf Selbstverantwortung möchte ich dich dazu einladen, einen passiven Modus im Leben gegen einen aktiven, selbstverantwortlichen einzutauschen.
Was unsere Autonomie betrifft, so ist es von untergeordneter Bedeutung, ob diese tatsächlich durch äußere Bedingungen beschränkt wird. Oft haben wir frühere Autonomiebeschneidungen wenig bewusst verinnerlicht. Manchmal haben wir uns aufgrund von Kosten-Nutzen-Erwägungen bewusst dagegen entscheiden, selbstverantwortlich von unseren Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen.
Seltener hat unsere fehlende Autonomie tatsächlich mit Umgebungsfaktoren zu tun. In einem totalitären politischen System, in strengen oder fanatischen religiösen Zusammenhängen, aber auch in toxischen Beziehungen fühlen wir uns in unseren Handlungsmöglichkeiten stark beschränkt. Die Versuchung liegt nahe, davon zu sprechen, dass die Handlungsmöglichkeiten in diesen Kontexten nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich stark beschränkt sind. Das habe ich zum Beispiel über die Inhaftierten geglaubt, als ich vor Jahren im Knast gearbeitet habe.
Aber tatsächlich haben wir auch hier Handlungsspielräume, die uns in unsere Gestaltungsverantwortung einladen. Angesichts der drohenden Sanktionen und existenziellen Konsequenzen scheinen diese Spielräume allerdings eher wie abstrakte Optionen, die sich im Alltag als schwer begehbar erweisen. Wir werden auf den Umgang mit den verfügbaren Autonomie-Optionen, auch unter harschen Bedingungen, sowohl beim Umgang mit Risiken der Selbstentfaltung, als auch bei der Ausrichtung unserer Selbstbestimmung zurückkommen.
Meist haben wir es mit bewusst oder unbewusst verinnerlichten Autonomie-Einschränkungen zu tun. Viele Geschichten, die wir uns selbst und anderen erzählen handeln von Opfern. Unabhängig ob es in diesen Geschichten um uns oder andere geht, beschreiben wir die Akteure als Opfer unterschiedlicher Gegebenheiten.
Mal geht es um biographische Momente, Autoritätsfiguren und schwere Erfahrungen. Mal geht es um politische Systeme, die vorherrschende gesellschaftliche Kultur oder das familiäre Bezugssystem. Oft geht es um Tyrannen im Gewand des Chefs, der Kollegen und Mitarbeiter oder der Kunden und Klienten.
Was auch immer der Kontext sein mag: Die Täter oder monumentalen Gegebenheiten machen es den vermeintlichen Opfern unmöglich, von ihren Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen.
Manchmal will es scheinen, als würden wir den größten Teil unserer Interaktion mit anderen darauf verwenden, solche Geschichten auszutauschen. Und während Unterhaltungs- und Entlastungswert hoch zu sein scheinen, ist der Preis, den wir für diese Form der Unterhaltung und die vermeintliche Entlastung berappen müssen, erstaunlich hoch.
Es mag uns nicht wirklich bewusst sein, wie wir die Akteure unserer Geschichten, uns eingenommen, mit diesen Opferzuschreibungen entmündigen. Aber möglicherweise ist das ein wichtiger Grund, weshalb wir diesen Geschichten so viel Raum geben. Wir entledigen uns über den Opferstatus der anderen und unsere abgeleitete eigene Ohnmacht unserer Selbstverantwortung.Wir würden gerne etwas verändern, aber angesichts der schlimmen Umstände geht das leider nicht.
Wir wenden uns oberflächlich erleichtert von den gefühlt gefährlichen Gestaltungseinladungen ab und suchen dann nach gangbaren Wegen, unsere Lebenskraft auf Eis zulegen und uns gleichzeitig lebendig zu fühlen. Was der Quadratur des Kreises gleichkommt, kurz, unmöglich ist.
Manchmal sind wir selbst die Protagonisten dieser Geschichten. Dazu erklären wir uns meist dann, wenn wir Sehnsucht nach übermenschlicher Größe haben. Und das ist meist dann der Fall, wenn wir Gefühlen von Minderwertigkeit, Ohnmacht und Lebensuntüchtigkeit etwas Kraftvolles und Berauschendes entgegensetzen wollen.
Aber meist handeln diese Heldengeschichten von anderen. Sie handeln von Menschen, die wir idealisieren und damit in für uns unerreichbare Ferne rücken. Das hat den Vorteil, das wir gemütlich in unserer Komfortzone bleiben können. Wenn es übermenschlich ist, dann brauchen wir erst gar nicht versuchen, lebenswerte Anteile des Helden in unsere Persönlichkeit zu integrieren. Wir sind ja nicht auserwählt. Und der Held ist ja da und kümmert sich um alles.
Wenn der vermeintliche Held es nicht hinbekommt oder vom Thron stürzt, auf den wir ihn mit unserer unterwürfigen Anbetung befördert haben, dann können wir mit dem Finger auf ihn zeigen. Im alten Rom war das ein gängiges Vorgehen, um neue Gesetze und Regeln einzuführen. Ein Interimskaiser wurde bestimmt. Dieser durfte die Veränderungen umsetzen. Und um den Groll der Bürger über die Veränderungen zu besänftigen, richtete man den “Tyrannen” öffentlich hin. Wohlgemerkt, während die geänderten Gesetze und Regeln in Kraft blieben.
Das Spielfeld, indem wir unsere Autonomie verraten und mit Ausdauer versuchen, unserer Selbst- und Gestaltungsverantwortung zu entkommen heißt in der von Eric Berne begründeten Transaktionsanalyse “Dramadreieck”. Dabei haben wir es manchmal mit festgeschriebenen Rollen zu tun. Aber häufig haben die Akteure dramatischen Spaß am ständigen Wechsel zwischen der Rolle des Täters, des Opfers und des Retters.
Das ganze ist intensiv. Aufgrund der emotionalen Intensität des ständigen Dramas fühlen wir uns in diesem Spiel auch irgendwie lebendig. Aber es ist ein äußerst frustrierender und toxischer Ersatz für das Spiel, zu dem uns das Leben eigentlich einlädt.
Wenn wir unsere Ambition und unsere Gestaltungseinladung ernst nehmen, wenn wir uns vom dramatischen Hantieren mit Helden, Opfern und Rettern abwenden und produktiver Glückseligkeit zuwenden, dann verändern sich die Rollen, die wir einnehmen, subtil.
Wir lassen die Opfergeschichten hinter uns und werden zu demütigen Gestaltern. Wir sind weder allmächtig, noch winzig klein. Wir erkennen an, dass wir nicht die Kontrolle haben. Aber wir erkennen, dass wir die Welt im achtsamen Dialog mit Menschen und Dingen gestalten dürfen und sollen.
Wir lassen die Rettergeschichten hinter uns und werden zu empathischen Gestaltern. Wir nehmen unsere Sehnsucht nach sozialer Verbundenheit ernst. Wir suchen Wege konflikthafte Spannungen mit anderen produktiv aufzulösen. Wir suchen nach echten Antworten auf das, was uns zu bedrängen und bedrohen scheint. Und wir erkennen an, dass wir gerade im spannenden und manchmal konflikthaften Austausch zu erstaunlich lebenswerten Erkenntnissen und Ergebnissen kommen können.
Wir lassen die Tätergeschichten hinter uns und werden zu ambitionierten Gestaltern. Wir verneigen uns vor unserer Lebenskraft. Wir verneigen uns vor unserem Ideenreichtum. Wir verneigen uns vor den Herausforderungen, mit denen uns das Leben konfrontiert. Und wir suchen nach gangbaren Möglichkeiten, unsere Ambition, unsere Inspiration und unseren Gestaltungswillen auf geschmeidige, herzliche und wohlwollende Art ins Spiel zu bringen.