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Verantwortung für unsere Ängste übernehmen

Die meisten Menschen leben ein Leben in stiller Verzweiflung

Dieser Satz stammt von Henry David Thoreau. Und vielleicht hat er damit Recht. Wir verweigern uns dem Ruf unserer Ambition, weil wir große Gefahren fürchten. Und tatsächlich: Sobald wir uns etwas weiter aus dem Fenster lehnen, unsere Entwicklungseinladungen ernst nehmen und uns auf den Weg beherzter Potentialentfaltung begeben, kommen beeindruckende Ängste ins Spiel…

Oben auf dem Siegertreppchen der Ängste finden wir die Angst vor sozialer Ächtung

Nichts macht uns soviel Angst, wie der mögliche Ausschluss aus der sozialen Gemeinschaft und die befürchtete totale Vereinsamung, die daraus resultiert.

Gemeinsam mit der Angst, die wir im Anschluss behandeln werden, haben wir diese Angst im inneren Bild des armen Schluckers verewigt, der von allen guten Geistern verlassen unter der Brücke lebt. Die einzigen Geister, mit denen er seine Zeit verbringt, sind verzerrte Erinnerungen, selbst-zerstörerische innere Stimmen und der billige Fusel vom Discounter.

Unsere Angst vor Vereinsamung liegt möglicherweise darin begründet, dass wir unsere Sehnsucht nach existenzieller Geborgenheit und Glückserfahrungen zu einem großen Teil in zwischenmenschlichen Begegnungen suchen. Und das ist auf einer oberflächlichen Ebene auch total verständlich: Der Mensch ist seiner Natur nach ein soziales Wesen.

Aber dummerweise gehen wir beim reflexhaften Streben nach Verbundenheit über soziale Zugehörigkeit gefährlich oft in die Falle eines übermäßigen Konformitätsstrebens. Nahezu ebenso oft betreten wir damit das existenziell dünne Eis des Selbstverrats. Wir tauschen Zugehörigkeit zu Gruppen allzu oft gegen Verbundenheit mit unserem Herzen und Treue gegenüber unserer Ambition ein. Und das muss nach hinten losgehen.

Haben wir uns erst einmal aufs Eis des Selbstverrats gewagt und dabei die Verbindung mit unserem Herzen und unserer Ambition gekappt, dann sind wir existenziell verloren. Und so fühlen wir uns dann auch.

Wir fühlen uns kraftlos und falsch. Das Erste erkennen wir daran, dass wir kaum vom Sofa hochkommen, ständig an Gewicht zunehmen und Produktivität etwas ist, über das wir im Internet lesen. Das Zweite erkennen wir daran, dass uns jede vorbeifahrende Polizeistreife, jeder Zollbeamte oder die Begegnung mit anderen vermeintlichen Autoritäten unwillkürlich in einen Zustand der inneren Alarmierung versetzen.

Wir liefern uns auf Gedeih und Verderb einer vermeintlich Sicherheit spendenden, kultivierten Gemeinschaft aus. Doch allzu oft handelt es sich bei dieser “feinen” Gesellschaft um einen unkultivierten Pöbel, der hinter einer konform aufpolierten Fassade haust. Wage dich mal auf der A5 zwischen Freiburg und Karlsruhe mit 140 km/h auf die linke Spur und du weißt wovon ich rede. Da ist allenfalls die Karosserie kultiviert.

Die Sicherheitsgefühle der tieffliegenden Angreifer werden von Unterschiedlichem gespeist. Da gibt es zum einen die leckeren Federerungsystemen. Die Akkustik ist geprägt von einer genialen Mischung. Ein angenehm auf innen und außen abgestimmtes Motor- und Laufgeräusch mischt sich mit einem fetten Sound, das aus dem wohl-kallibrierten Soundsystem erklingt. Und das virtuelle Konstrukt der Sicherheit im Falle des Unfalles setzt sich aus Memen wie ABS, Airbags und privater Krankenversicherung zusammen. Trotz allem ist das Sicherheitsgefühlt trügerisch. Weshalb wir regelmäßig Rettungsgassen bilden und ich froh bin, das meine Kunden Inhalte mittlerweile asynchron konsumieren können.

Im vermeintlich wohligen Nest der Gemeinschaft herrscht Angst

Sobald die Verbindung zum Hort unserer gefährdeten und teuer bezahlten Sicherheit im sozialen Gefüge in Gefahr gerät, geraten wir in Panik. Dabei spielt es keine Rolle, ob unsere Zugehörigkeit tatsächlich in Gefahr ist oder der Phantasie unserer Lebensangst entspringt.

Mit dem Verlust der Zugehörigkeit, laufen wir Gefahr, die einzige Form an Verbundenheit einzubüßen, die wir kennen. Und diese Vorstellung ist unerträglich. Deswegen sind wir fortan bemüht, uns ständig durch die Augen der anderen zu beobachten, zu bewerten und zu kontrollieren. Das oberste Leitmotiv unseres Handelns, auf das wir uns verlegen lautet positiv auffallen oder am besten gar nicht. Und was kann es Wirksameres geben, um uns davon abzuhalten, unser Ding zu machen, und vielleicht, Gott bewahre, auch noch super-erfolgreich damit zu sein?

Wie hat Truman Capote so schön gesagt: “Erfolg ist so ziemlich das Letzte, was einem vergeben wird.”

Auf dem zweiten Platz des Siegertreppchens finden wir die Angst vor wirtschaftlichem Ruin

Und diese Angst schließt bündig an die zuvor genannte an. Ein gewisser finanzieller Status verleiht uns Verhaltensfreiheiten in unseren sozialen Bezügen. Wenn wir richtig erfolgreich sind, dann können wir uns sogar daran beteiligen, die Spielregeln des Miteinanders festzulegen. Und dann können wir unsere Gestaltungsideen auf einmal relativ risikofrei in die Tat umsetzen.

Aber wenn wir uns die Gestaltungsnarrenfreiheit im Zwischenmenschlichen über die Aura des erfolgreichen Machers erschleichen, dann wird es ziemlich blöd. Wir mögen wie die freien Gestalter unserer Wirklichkeit erscheinen. Tatsächlich sind wir Gedangene jener Helden- und Retterrollen, die wir bereits kennen gelernt haben. Es ist äußerst schwierig, uns in diesen Rollen wirklich lebendig zu fühlen. Und es ist nahezu unmöglich aus diesen Rollen heraus eine echte Verbundenheit mit dem Leben zu kultivieren.

Auch hier werden wir zu Gefangenen in unserem sozialen Gefüge. Der einzige Unterschied: Wir nehmen eine andere Rolle ein. Wir sind Helden im Macher, Retter, häufig auch Tätergewand.

Gleichzeitig werden wir paradoxerweise zum Opfer unseres wirtschaftlichen Status. Aber so paradox ist das gar nicht, wie wir gelernt haben. Dramadreieck, ick hör dir trappsen.

Wenn sich unsere materiellen Ressourcen erschöpfen, dann droht ein doppelter Verlust. Zuerst verlieren wir den Zugang zur Gestaltungsfreiheit im sicheren Feld unserer sozialen Bezüge. Und dann kommt uns bei zunehmender Frustration über die verlorenen Möglichkeiten und die zunehmende Verwahrlosung unserer Kommunikationskultur das soziale Bezugssystem selbst abhanden.

Aber das sind Überlegungen auf hohem Niveau.

Uns gewöhnliche Menschen interessiert ein finanzielles Polster aus zwei Gründen. Wir wollen unsere Existenz sichern. Und wir wollen uns Zugang zu Konsumoptionen verschaffen.

Auf die übertiebene Existenzsicherung, die wir Deutschen zum Beispiel über Sparen und Versicherungen betreiben, sind wir massiv angewiesen. Denn wir haben noch nie von bedingungsloser existenzieller Geborgenheit gehört. Und selbst, wenn wir daovn gehört haben, haben wir keine Ahnung, wie wir diese finden und kultivieren können. Aber sei beruhigt: auch darüber spreche ich in anderen Kursen und Zusammenhängen intensiver.

Auf den Zugang zu Konsumoptionen, mit denen wir gleichzeitig die Sklaverei in anderen Ländern unterstützen und Mutter Erde ruinieren, sind wir angewiesen, wenn wir nicht wissen, wie Lebendigkeit und Glück wirklich funktionieren. Denn dann brauchen wir den Kick des Konsums, um unsere fehlende Lebendigkeit und unser Unglück auszugleichen. Und das ist eine Krücke, die nicht funktioniert, weil wir nicht humpeln, sondern tanzen wollen. Worin auch unsere Gier begründet liegt.

Krankheit, Tod und totale Auslöschung sind Ängste, die eher im Hintergrund rangieren

Krankheit und Tod hatte zuletzt immer die anderen betroffen. Die Alten, die Nachbarn, die Bekannten von Bekannten. Mit der Corona-Krise wurden Krankheit und Tod wieder salonfähig. Viele schienen sich erst mit Beginn der Pandemie bewusst zu machen, dass ihr Leben endlich ist.

Für unseren Zusammenhang interessant wirken die bedrohlichsten Ängste weit weniger direkt auf unsere Lebensverweigerung ein, als die zuvor genannten.

Tatsächlich können Tod und die tiefen existenziellen Fragen, die damit einhergehen, massive Katalysatoren für unsere Selbstbestimmung, unsere Selbstbefreiung und unseren Zugang zur Lebendigkeit sein. Viele autobiographisch geprägte Berichte von Menschen, die lebensbedrohliche Erkrankungen überstanden oder extreme Erlebnisse verabreitet haben, legen Zeugnis davon ab.

Das Problem: Wir stehen vollkommen fassungslos vor diesen grundlegenden Phänomenen unserer Existenz. Und solange wir die Möglichkeit haben, bringen wir eine Standardstrategie an den Start: Wir stecken den Kopf in den Sand. Und weil wir keine riesigen Vögel sind, die nicht fliegen können, machen wir das auf unsere Menschen eigene Art. Wir knallen uns mit Aktivismus weg.

Das Dumme daran: Wenn wri vor den wesentlichen Fragen davon laufen und uns in den Irrsinn unseres modernen Alltags flüchten, dann verbauen wir uns gerade damit den Zugang zu den wesentlichen Antworten. Denn wenn wir Flucht als Option wählen, dann wählen wir damit auch die Flucht vor uns selbst. Und damit verlieren wir die Verbindung mit unserem Herzen und unserer tiefen Ambition.

Die wesentlichen Antworten auf die großen existenziellen Fragen finden wir aber erst in der Verbindung mit unserem Herzen. Wir finden sie im innigen Kontakt mit allen Aspekten unserer Gegenwart. Und wir finden sie im Flow eines beherzten Schaffens, indem wir uns vollkommen wach und lebendig selbst vergessen.

Stellt sich die Frage, wie wir unsere Ängste besänftigen können

Die wesentlichen Medikamente, die gegen unsere Angst wirken lauten Interesse, Neugierde und Entdeckerfreude.

Die wesentlichen Medikamente mit denen wir Ruhe und Gelassenheit finden können, sind Verbundenheit und Kontakt mit den gegenwärtigen Phänomenen unserer Wirklichkeit.

Die wesentliche Antwort, die wir auf die Frage von Leben und Tod geben können, besteht darin, diesen gegenwärtigen Augenblick auszuschöpfen. Und das machen wir am besten, indem wir uns in die gegenwärtige Aktivität vertiefen und dabei unser Potential entfalten.

Mark Twain hat mit einem Augenzwinkern etwas heiter Tröstliches zum Thema Ängste gesagt: “Ich habe in meinem Leben viele schlimme Dinge erlebt, manche davon sind wirklich eingetreten.”