Verantwortung für unsere Geschichten übernehmen Copy

Wenn wir Verantwortung für unsere Geschichten übernehmen wollen, dann besteht der erste und entscheidende Schritt darin, uns unsere wenig bewussten Monologe bewusster zu machen. Am besten etablieren wir eine Kultur kontinuierlicher Inventur unserer inneren Erzählungen.

Dazu können wir unterschiedliche Möglichkeiten nutzen.

Nicht-gegenständliche Meditation, bei der wir uns ohne äußere Anleitung auf Atmung und Körperhaltung konzentrieren, gehört zu den direktesten und unbequemsten Mitteln der Inventur, die wir wählen können.

Nahe dran an der Meditation, finden wir die Möglichkeit zu schreiben. Kreative Formate können Sinn machen, weil sie der Hypnotherapie ähnlich eine metaphorische Annäherung an Themen ermöglichen. Aber für unseren Zusammenhang hier empfehle ich eine freie Art von Tagebuchaufzeichnung, wie wir sie von Julian Camerons “Der Weg des Künstlers” als Morgenseiten kennen. Noch besser eignet sich, propriozeptives Schreiben, bei dem wir mehr oder weniger unserem Denken beiwohnen und dieses zeitgleich schriftlich dokumentieren.

Die letzte und geschmeidigste Version, eine Gedankeninventur in unserem Leben zu etablieren, ist die Variante, welche die Denker, Philosophen und Wissenschaftler aller Zeiten genutzt haben: Flanieren und zwar in Stille und alleine. Der Introvertierte fühlt sich dabei häufig in der Natur besonders wohl. Für den Extrovertierten empfehlen sich die Fußgängerzonen und Parks der Stadt.

Sobald wir uns unsere Geschichten bewusst machen, können wir damit beginnen, auf unterschiedliche Weise mit diesen zu arbeiten

Wir können uns um Selbstbeschränkung, Selbstentwertung und versteckte Potentiale in unseren Geschichten kümmern.

Wir können dazu übergehen, Geleistetes und Erfolge auf unser eigenes Konto zu buchen, wo wir sie zuvor der Fügung, dem Zufall oder dem Wirken anderer zugeschrieben haben. Wir können Selbstliebe und positive Selbstgespräche kultivieren.

Ausgehend von Problematischem und Herausforderungen können wir Geschichten von einer erwünschten Zukunft entwickeln und diese zu Leitmotiven für unser gegenwärtiges Handeln.

Ein kleine, hässliche Geschichte gefällig?

Ich habe gegen-intuitive Ansätzen versprochen. Lasst uns mit der Aufschieberitis beginnen. Auschieberitis erfreut sich einer solch großen Bedeutung im Bereich der Motivation, dass ich mich gezwungen sah, das Klischee schon zu Beginn dieses Kurses aufzugreifen. Die Common Sense Story passt dann auch ziemlich gut zu der Persiflage, die ich eingangs entwickelt habe.

Wir schieben Dinge auf. Nicht etwa, weil es gute Gründe gibt, uns später darum zu kümmern. Nein, wir tun es weil wir vermeintlich unter Charakterschwächen leiden, keine Willenskraft besitzen und überhaupt unberechenbare und unzuverlässige Chaoten sind. Und wenn uns unsere Mitmenschen im Alltag nicht mit diesen “Weisheiten” konfrontieren, dann gehen wir selbst auf die Pirsch. Im Internet werden wir mit Sicherheit fündig.

Und weil Angst immer super wirkungsvoll ist, wenn es darum geht, etwas zu verkaufen, finden wir auf einschlägigen Blogs auch Hinweise darauf, wie wir mit unserer Aufschieberitis unseren Lebenserfolg verhindern und die Menschen, die uns wirklich wichtig sind, vor den Kopf stoßen. Ein paar problemorientierte Ansätze, was da eigentlich mit uns los ist, finden wir meist. Vielleicht auch ein paar oberflächliche Lösungsansätze.

Für die echte Lösung heißt es dann oft: “Blätter ein paar Scheine hin, dann wird das schon. Denn hier hast du es mit einem Experten zu tun. Und ich helfe dir aus der Misere.”

Lust auf eine leckere Variante dieser Geschichte?

Wie wäre es mit einer alternativen Geschichte, die du als kostenlose Abkürzung nutzen kannst? Unter uns: Du hast dich möglicherweise verarschen lassen. Möglicherweise ist Prokrastination in vielen Fällen nützlich und in noch mehr Fällen sinnvoll.

Vielleicht gehst du nicht daran zugrunde. Vielleicht haben deine depressiven Verstimmungen gar nichts damit zu tun (ein kleiner Hinweis hier: Positive Disintegration… Einfach mal Googlen).

Darf ich die gegen-intuitive Alternativgeschichte präsentieren? Trommelwirbel bitte: Positives Prokrastinieren.

Niemand sagt es dir. Sie wissen es nicht. Sie beten so gerne nach. Sie baden so gerne im wohligen Bad des Common Sense bis nicht nur ihre Haut, sondern auch ihr Hirn verschrumpelt. Allen voran, die ach so tollen Experten.

Aber ich sage es dir. Und es kostet dich gar nichts: Es gibt wirklich tolle und wichtige Gründe, Dinge zu einem späteren Zeitpunkt zu erledigen!

Das Leben ist ein mehrdeutiges, ständig meanderndes und unfassbares Etwas. Unsere Planungsbestrebungen und unser Versuch, das Leben in den Griff zu bekommen sind verständlich. Aber der Ehrgeiz, den wir beim Planen an den Tag legen, trägt vor allem unserer Sehnsucht nach Sicherheit Rechnung, seltener aber unserer Lebensrealität.

Da könnten wir jetzt sehr tief einsteigen und das Wasserfall-Modell aus der Softwareentwicklung zu modernen, agilen Projektmanagement-Ansätzen in Bezug setzen. Aber das sprengt hier den Rahmen.

John Lennon oder sonst jemand hat es auf einen einfachen Nenner gebracht: “Leben ist das, was passiert, während wir andere Pläne schmieden.”

Und was machen wir, angesichts unseres Planungschaos und unserer Verzögerungen im Betriebsablauf? Wir stellen uns vor unser inneres Gericht und werden von Richter und Geschworenen für schuldig befunden. Wir haben geplant. Wir haben uns geirrt. Ab in das Straflager unseres inneren Sibiriens. Wir nehmen die Strafe auf uns. Wir verraten unsere Wirklichkeit. Wir verraten unser Herz. Wir halten weiterhin den Plänen, der Kognition und dem Hafen des aufgeklärten Bildungsbürgertums die Treue. Aua!

Was wir bei unserer ambitionierten Planung gerne übersehen:

Klar, es gibt den Chronos. Die messbare Zeit, mit der wir uns selbst und andere gerne an die Leine nehmen. Die Zeit unserer Moderne, mit der wir uns selbst unter Druck setzen: auf der Autobahn, während wir im Supermarkt Schlange stehen oder vor dem Computer an unserem ach so wichtigen Projekt.

Aber der alte Grieche kennt noch einen anderen Zeitbegriff, den wir als abgeklärte Menschen, die mit der Aufklärung jeden Sinn für die intuitiveren und spirituelleren Aspekte unserer Wirklichkeit über Bord geworfen haben, kaum noch kennen. Der Kairos ist nicht messbar. In gewisser Weise liegt er außerhalb der messbaren Zeit. Und doch handelt er von den entscheidenden Momenten im Leben. Denn beim Kairos geht es um den richtigen Moment zu handeln.

Ob es erklärbar ist oder nicht…

Wir können manche Dinge erzwingen wollen und dann bezahlen wir teuer dafür. Es dauert länger. Wir müssen mehr Ressourcen einsetzen. Wir bauen einen Unfall. Oder wir scheitern umfänglich.

Aber wenn wir unser Gespür für den richtigen Moment zu handeln kultivieren, wenn wir dabei den inneren Subtext des Aufschiebens weglassen, dann kann es passieren, das wir im richtigen Moment handeln.

Mit der Ratio mögen wir diesen Moment vielleicht als spät bewerten. Andere mögen uns mit hochgezogenen Augenbrauen, Geringschätzung oder Ungeduld betrachten. Wir aber können es spüren: Jetzt flutscht es einfach. Wir haben keine Ahnung was passiert. Die Arbeit schreibt sich von alleine. Die Küche räumt sich selbst auf. Das Auto fährt zum Supermarkt und irgendetwas erledigt vollkomen mühelos den Einkauf.

Wir tun gefühlt gar nichts. Die Sachen erledigen sich quasi von alleine. Der Chinese spricht von Wu-Wei: Nicht-Handeln. Aber das ist uns egal.

Wenn es um kreative, komplexe oder existenzielle Prozesse geht, dann kann es uns ganz ähnlich gehen.

Unsere Selbstentwertung mag massiv sein. Andere mögen uns mit Argwohn von der Seite oder von oben herab betrachten. Aber wir können es auch hier spüren.

Es war wichtig, zu warten. Es war wichtig, uns mit uns selbst zu plagen. Es war wichtig, die vermeintlichen Umwege zu gehen. Zu einem früheren Moment wäre es so nicht möglich gewesen. Es musste reifen. Jetzt schlägt die Erkenntnis mit inspirierender, befreiender oder richtungsweisender Kraft ein.

Existenzielle Einladungen

Manchmal machen wir es uns im Laufe der Planung nicht bewusst: Es gibt wichtige Dinge, die wir übersehen. Manchmal geht es dabei um lebenswichtige Dinge. Oft geht es um Dinge, die für unsere Seelenheil, unsere Gesundheit und unsere existenzielle Entwicklung von entscheidender Bedeutung sind.

Sie durchkreuzen unsere Pläne. Sie führen uns auf vermeintliche Abwege. Sie bringen uns in Teufelsküche. Wir übersehen diese Dinge, weil wir uns um die existenziellen Einladungen herumdrücken wollen. Wir planen sie nicht ein, weil wir nichts damit zu tun haben wollen. Wir haben Angst. Und darauf kommen wir gleich noch einmal zurück.

Aber das Leben lässt nicht mit sich feilschen. Das Leben macht unsere Selbstverarsche nicht mit. Es ruft uns. Und, wenn wir uns verweigern, dann fängt es an wehzutun.

Wir haben geplant. Und jetzt vernachlässigen wir die vermeintlich wichtige Sache, die existenziell betrachtet Nebensache und Ablenkung ist. Möglicherweise bekommen wir in vermeintlich wichtigen Lebenskontexten dafür auf den Deckel. Vielleicht müssen wir teuer dafür bezahlen. Aber das Leben führt uns auf einen anderen Weg.

Dieser Weg macht uns frei. Dieser Weg macht uns ganz. Dieser Weg erlöst und von unseren Illusionen, unseren falschen Antworten und unserem Selbstverrat.

Von außen betrachtet, von der Ratio aus betrachtet, mit den Augen der Vorzeigebürger betrachtet sieht es aus wie Ablenkung und Aufschieberitis. Aber, wenn wir mit dem Herzen schauen, dann können wir es sehen: Wir verweigern uns den Verführungen, den Nebensachen und unserem Sicherheitsstreben. Und ausgehend davon wagen wir den Tanz auf dem Bodenlosen, welches das Fundament unserer Lebendigkeit und die Quelle unserer Lebenskraft ist.

Das mag dich an St. Exupéry und seinen kleinen Prinzen erinnern : “Wir sehen nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen (und den Kopf) unsichtbar.”

Das war eine Geschichte übers Aufschieben, die wir überarbeitet haben

Von solchen Geschichten gibt es tausende in uns. Jede dieser Geschichten wirkt aus unserer jetzt eingenommenen Perspektive wie eine mentale Trutzburg, in der wir uns vor den Einladungen des Lebens verstecken und verschanzen.

Aus einer anderen, eher spirituell und existenziell mutigen Perspektive, sind diese Geschichten Tore. Diese Tore können wir öffnen, um Zugang zu einem zutiefst lebenswerten Leben zu öffnen, in dem wir unser wahres Wesen nach und nach freilegen.

Eins ist wahrscheinlich, wenn wir uns daran machen, mit unseren inneren Geschichten zu arbeiten, dann gelangen wir früher oder später auf die Spur trojanischer Entwicklungseinladungen…