Skip to main content

Bist du Meister oder bist du Sklave?

Vor Jahren habe ich auf einer Riesenwoge der Selbstüberschätzung und Selbstgefälligkeit folgenden Aphorismus nieder gepinnt:

“Are you master or servant of your creativity?”

Ich weiß ja nicht, wie intensiv du dich mit Kreativität befasst und welche Rolle diese in deinem Leben spielt. Manch einer tut gerade so, als ginge es bei Kreativität um etwas Elitäres, das sich vor allem in Werbeagenturen, Film- und Musikstudios sowie Künstlerateliers abspielt. Hipster-Vollbärte kommen in den Sinn, Hornbrillen und der omnipräsent angeknabberte Apfel, der den Kreativen vermeintlich adelt wie der Schmiss das Mitglied einer Studentenverbindung.

Etwas Wesentliches wird bei diesem oberflächlichen Umgang mit Kreativität übersehen:
Wir sind alle damit ausgestattet (auch wenn der Bartwuchs dürftig ist und der Laptop aus dem Hause Toshiba stammt…) und wir sind alle eingeladen, unsere Welt mit ihrer Hilfe produktiv, eigenwillig und menschlich zu gestalten.

Natürlich hätte ich zu bestimmten Zeiten gerne dazu gehört, wie du zwischen den neidgrün gefüllten Zeilen oben lesen kannst, doch ich bin mittlerweile ehrlich erstaunt über die poröse Dichte der vermeintlich kreativ-intellektuellen Sphäre und die abweisenden Kräfte, die in dieser wirken. Diese und ein gewisser Dünkel wollen so gar nicht zu einer gesunden Inspirationskultur passen. Aber unter uns: Wahrscheinlich projiziere ich nur.

Falls nicht, dann kommt es hier noch einmal richtig (t)rotzig: Mögen die Geadelten einem selbstverliebten, amerikanische-kaffeevariationen-schlürfenden, pseudo-intellektuellen Club mit Vernissagen, brillanten Würfen und genialen Kampagnen angehören. Mögen sie im Freiburg-Style sportlich auf Fixies oder hoch erhobenen Hauptes auf Hollandrädern durch die “urbane Zone” zuckeln. Mögen sie ihre Eitelkeit direkt neben ihren Werken zur Schau stellen.

Da spucke ich doch lieber öffentlich ins kreative Süppchen und übe mich in zielgerichteter Provokation.

Wie? Du, dein Team und deine Clique, ihr gehört auch zum Club? Verdammt!

Große Kinder, die so tun, als wären sie erwachsen

Die Mitglieder eines jeden Clubs haben so ihre Marotten. Doch was weniger offensichtlich ist: In diesen Marotten zeigt sich meist, dass da ziemlich große Kinder unterwegs sind, die immer noch Erwachsene imitieren, statt echte Erwachende, äh, Erwachsene, die sich ihrer spielerischen und kindlichen Natur bewusst wären. Es liegt in der Natur des kindlichen Spiels, dabei mit ziemlich niederen und unhöflichen Eigenschaften aufzuwarten und wer dieses schräge Spiel schon lange spielt, hat manchmal vor allem diese Eigenschaften ausgebaut.

| Zoe aus dem Off |: “Genau, bist du: Tödlich unhöflich! Bist du Pfeilgiftfrosch, oder so? Neidherr! Pöbelst Leute an, während du in Spiegel schaust. Peinlich, Alder, ich schwör!”

Du magst mich verschroben nennen, glaube ich doch tatsächlich, es gäbe eine Verbindung zwischen dem, was der alte Herr Lao-Tzu in seinem Standardwerk des Taoismus geschrieben hat, und dem Alltag, in dem du und ich so vor uns hin leben. Im zweiten Vers des Tao Te King schreibt der wilde Alte:

“Also auch der Berufene:(1)
Er verweilt im Wirken ohne Handeln.
Er übt Belehrung ohne Reden.
Alle Wesen treten hervor,
und er verweigert sich ihnen nicht.
Er erzeugt und besitzt nicht.
Er wirkt und behält nicht.
Ist das Werk vollbracht,
so verharrt er nicht dabei.
Und eben weil er nicht verharrt,
bleibt er nicht verlassen.”

Kleine Umfrage

Wo in dieser Welt existiert ein einziger brillanter Kreativer, der virtuos und kraftvoll in seinem Schaffen und Wirken wäre und gleichzeitig Energie übrig hätte, sich etwas darauf einzubilden? Wo findet sich ein einziger schöpferisch durchlässiger Mensch, der gleichzeitig noch Zeit hätte, sich in einem Club von anderen Genies feiern und bewundern zu lassen?

Der Eidgenosse Gottlieb Guntern hat ein spannendes und anspruchsvolles Buch geschrieben “Maskentanz der Mediokratie”. Habe das Buch nur angelesen, aber manchmal reicht der Titel… Wo noch Platz für Eitelkeit, Kumpanei und arrogante Abgrenzung ist, da bewegt sich das kreative Schaffen allenfalls im Mittelfeld und der Schaffende im unteren Mittelfeld seiner Potentialentfaltung.

[Zoe aus dem Off]: “Yo, Alder, hast du dich jetzt endlich ausgekotzt, oder was? Du gehst dem Publikum auf die Nerven, weißt du? Ich schwör, Digga!”
[Stephen aus dem Off]: “Krass, wie der sich davon tragen lässt. Ich glaube der wollte seinem seichten Beitrag einfach noch ein bisschen Pepp beigeben. Irgendwie peinlich.”
[Zoe]: “Wort drauf, Alder. Anderes: Du wolltest sagen… Weißt du, Facebook. Was geht ab?”
[Stephen]: “Yo, ist schwierig… Es geht um…, es geht um Mista Pi…”
[Zoe]: “Was sagst du? Pi? Machst mich neugierig, Sag an, Alder! Konkret, was geht, Mann?”

Kreativität und Liebesbeziehungen

Mit der Kreativität ist es ganz ähnlich wie mit dem Partner in einer Liebesbeziehung:
Du kannst dich benutzen lassen oder du kannst benutzen. Ähm, warte mal…??

Wenn du dich der Kreativität ergibst und alles tust, was sie vermeintlich will, dann verlierst du dich in ihr. Wo du als Gegenüber verschwindest, versiegt die Dialogmöglichkeit und sie wendet sich anderem zu. Wenn die Kreativität ein bisschen pervers veranlagt ist, erfindet sie kleine sadistische Spiele, um zu schauen, wie weit du mit deinem Selbstverrat gehst. Und ehrlich: Das kann ganz schön schmerzhaft werden.

Wenn du umgekehrt versuchst, der Kreativität deinen Willen aufzuzwingen und sie zur Haussklavin deiner Ambition, Willkür und Selbstgefälligkeit machen willst, dann wird sie bockig, zieht sich zurück und kommt manchmal betrunken zurück, um die ganze Familie zu vermöbeln, das Haus anzuzünden und manchmal beides.

Wenn sie ein bisschen pervers veranlagt ist, dann sucht sie nach Möglichkeiten, dich auf düstere Pfade zu führen oder dir durch spontane Ausbrüche in öffentlichen Situationen deine Selbstüberschätzung und Selbstgefälligkeit vor Augen zu führen. Manchmal taucht sie einfach nicht mehr auf, wenn du sie ganz dringend brauchst.

Jenseits von Sklaverei und Meisterschaft

  • Deine Kreativität ist keine Diva, aber du musst sie in Freiheit lassen, ihr Raum und Luft zum Atmen geben.
  • Auch wenn sie manchmal rumzickt, kompliziert tut und dich verwirrt, braucht sie dennoch deine Nähe, Kontinuität und Loyalität.
  • Sie braucht dich als Dialogpartner, der sich selbst treu bleibt, und ihr so hilft, einen produktiven Weg in die Welt zu finden.
  • Sie braucht eine Struktur, die du nur über Versuch und Irrtum entwickeln kannst. Wenn du dich um diese Struktur kümmerst, wird sie diese und dich von innen zum Leben erwecken.
  • Wenn du dran bleibst, dich vielleicht manchmal genervt abwendest, aber beständig zurück kommst, dann hilft sie dir, immer tiefer in deine produktive Mitte zu kommen.

Wenn du eine solche Beziehung mit dieser göttlichen Kraft kultivierst, dann werdet ihr gemeinsam kleine Wunder in der Welt bewirken. Dafür lässt sie sich gerne ein kleines bisschen bändigen und dafür lässt du dich sicher gerne ein kleines bisschen im Labyrinth herum treiben. In diesem intensiven Dialog kultivierst du echte Hingabe und gibst dem unerschöpflichen Potential des Lebens eine echte, inspirierende und vorübergehende Gestalt in dieser Welt.

Und wenn du den Tanz mit dieser immensen Kraft ganz und gar tanzt, dann löst sich die Idee, irgendwo ankommen oder dich in der launischen Aufmerksamkeit der Welt sonnen zu wollen in der Bewegung auf. Dann kommst du in der Bewegung an und die warme Sonne glüht in dir und strahlt durch dich!

Amen?

“Wenn Ihr etwas tut, sollt Ihr Euch vollständig verbrennen, wie ein gutes Feuer, ohne dass eine Spur von Euch zurückbleibt.” ~ Shunryu Suzuki

[Stephen]: “Alte Socke, jetzt hat er’s uns aber gegeben!”
[Zoe]: “Wort drauf, Digga. Peinlicher Typ, ich schwör! Was geht mit Pi, so? Sag, oder ich mach dich kalt, Alder!”

 


Fußnoten:
(1) Nicht Neo ist der Berufene, sondern du bist es, von dem die Rede ist. Zumindest dann, wenn du aus der “Matrix” aussteigst und dem Ruf des Lebens folgst…