Mit dieser Theorie der gesunden Spannung lade ich dich ein, dir grundlegende Gedanken über dein Konzept von Stress, Spannung und Glück zu machen. Gewissermaßen starte ich damit eine Initiative wider ein stressfreies Leben…
Vielleicht hast du den Begriff „Flow“ schon einmal gehört. Und vielleicht weißt du, dass es sich dabei um ein Konzept handelt, das der Psychologe Csikszentmihalyi (gesprochen Tschik Sent Mihaji – im weiteren Text einfach Chick) im Laufe eines Forschungsprojekts entwickelt hat. Chick muss zum Zeitpunkt des Projekts ein recht ambitionierter Wissenschaftler gewesen sein, denn er hatte kein geringeres Ziel, als herauszufinden, wann, wo und wie Menschen glücklich sind.
Interessanter- und vielleicht auch paradoxerweise fand Chick heraus, dass sich die Flow- und Glücksmomente weit weniger in jenen Zonen abspielen, in denen Menschen komfortabel am Strand liegen oder gemütlich am Abend vor dem Fernseher chillen, sondern vielmehr in jenen, wo Menschen hoch konzentriert, manchmal an der Grenze ihrer Möglichkeiten, damit beschäftigt sind, eine bestimmte Aufgabe zu erledigen oder ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Bei der Auswertung der Ergebnisse machte Chick ein bestimmtes Muster aus (das im Schaubild und Modell unten seinen Niederschlag fand). Er fand heraus, dass es etwas gab, das er „Flow-Kanal“ nannte. Dies war ein Bereich, in welchem Menschen in eine innere Verfassung kamen, die eine Kombination aus hoher Konzentration, Selbstvergessen und virtuosem, leichtfüßigem Handeln umfasste.
In diesem Bereich hatten die Menschen weniger das Gefühl, selbst zu handeln, als vielmehr das Gefühl, die Dinge würden von selbst geschehen.
Daneben machte er zwei weitere Zonen aus:
Der Frage folgend, wie die Teilnehmer der Studie den Flow-Zustand erreichten, wurde schnell klar, dass diese ein Ziel verfolgten bzw. eine Herausforderung bewältigten, welches sie in die Randzonen ihres aktuellen Könnens führte. Sie konnten die aktuelle Aufgabe noch einigermaßen souverän meistern und waren doch gleichzeitig in einem Anforderungsbereich, in dem sie dazu lernen konnten und mussten. (1)
Mit jeder neuen Bewältigung der Aufgabe entwickelte sich ihre Kompetenz bis zu jenem Punkt, wo sie die Herausforderung routiniert bewältigen konnten (2). An diesem Punkt fingen sie an, sich in die Unterforderungszone hinein zu bewegen (3). Erst wenn sie sich anspruchsvollere, neue oder andere Ziele setzten, gelangten sie wieder in die Flow-Zone (4).
Dort, wo Probanden sich Ziele setzten, die sie mit ihren vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen nicht bewältigen konnten (5), gerieten sie in die Überforderungszone, die von Versagensängsten und bedrohlichen Gefühlen geprägt war. Erst die Korrektur des Ziels führte sie wieder in die Flow-Zone zurück (4).
Mit der Erfahrung, etwas Wesentliches bewirken zu können einerseits und der Flow-Erfahrung andererseits, entwickelten die Teilnehmer über die Zeit eine Motivation, die von innen kam und stärker auf den Prozess der Bewältigung und des kontinuierlichen Lernens gerichtet war als auf das abschließende Ergebnis ihrer Anstrengungen.
Interessanterweise habe ich ein ähnliches Modell im Bereich der Pädagogik über meinen Kollegen Gerd Kalmbach kennengelernt.
Sein Konzept habe ich mir als „Lernbegeisterungsfokussiertes Modell“ eingeprägt. Er arbeitet mit den Begriffen „Komfortzone“ (1), „Lernzone“ (2) und „Überforderungszone“ (3)
Dieses Konzept besagt, dass wir uns in der Lernzone bewegen müssen, wenn wir effektiv, also mit Freude und Leichtigkeit, lernen wollen. Häufige Erfahrungen des Scheiterns in der Überforderungszone und der Stagnation in der Komfortzone unterminieren die intrinsische Motivation, also die Freude am Lernen und der Entwicklung selbst. Die Lernbegeisterung versandet und die ursprüngliche Lust auf persönliche sowie domänenspezifische Entwicklung verwandelt sich in Frust und Stagnation auf vertrautem Niveau.
Andere Autoren fassen die Bereiche gefährlicher. Apter, Autor des Buches „Danger“, unterscheidet zwischen „Sicherheitszone“ (1), „Gefahrenzone“ (2) und „Trauma-Zone“ (3) – allerdings vor dem Hintergrund der Risikoverhaltensforschung. Er führt seinem Forschungsgegenstand geschuldet noch die Bereiche der „gefährlichen Kante“ (4) und des „Schutzkorridors“ (5) ein.
Apter setzt sich in seinem Buch mit der Frage auseinander, warum Menschen wider ihr natürliches Sicherheitsstreben handeln, wenn sie freiwillig und wiederholt existenziell gefährliche Risikosituationen aufsuchen.
Er zeigt auf, wie wir uns über die unterschiedlichen Zonen bewegen und mal eine sichere und vertraute Situation suchen und uns ein anderes Mal übermütig an metaphorisch und manchmal tatsächlich tödliche Abgründe wagen.
Wenn ich mit dem Konzept der Yin-Yang-Achse aus der Tradition des chinesischen Taoismus noch ein letztes Modell ins Spiel bringe, dann haben wir alle Zutaten zusammen, um zu jenem Modell zu gelangen, in das ich diese unterschiedlichen Sicht- und Darstellungsweisen integriert habe.
Anton und Marie-Louise Stangl unterscheiden in einem Modell, das sie in ihrem Buch „Lebenskraft“ vorstellen, die beiden Hauptzonen „Spannung“ oder „Yang“ (1 und 2) sowie „Lösung“ oder „Yin“ (3 und(4). Sie differenzieren diese beiden Zonen dann weiter in „Überspannung“ (1) und Spannung (2) sowie „Lösung“ (3) und „Auflösung“ (4).
Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass es eine heilsame Spannungszone gibt. Vitalität sowie brillante Leistungen entstehen in einem natürlichen Schwingen zwischen Spannung (2) und Lösung (3), während die extremen Zustände der Überspannung (1) und Auflösung (4) zu einer Zerrüttung der Persönlichkeit und nur zu mittelmäßigen bis dürftigen Leistungen führen.
Die Psychologen Robert M. Yerkes und John Dillingham Dodson fanden bei ihrer Forschung bereits im Jahr 1908 einen Zusammenhang zwischen Spannung oder Erregungszustand des Körpers und dessen Leistungsfähigkeit. Interessanterweise kamen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen abhängig davon, ob es sich um eine komplexe oder einfache Aufgabe handelt.
Bei der komplexen Aufgabe tut sich bei geringer Spannung wenig (4). Erst bei zunehmender Spannung / Erregung nimmt die Effektivität und Leistungsfähigkeit zu, bis sie den Höhepunkt (5) erreicht. Mit weiter zunehmender Spannung fallen Leistungsfähigkeit und Produktivität ab (3) bis sie den Nullpunkt erreichen.
Bei einfache Aufgaben hingegen steigt die Leistungsfähigkeit mit zunehmender Spannung kontinuierlich an und bewegt sich auf einen maximalen Wert zu.
Die Schlussfolgerung: