Zaubermittel?

Ich habe bei der Begriffsklärung von Zaubermitteln gesprochen. Dabei geht es um die Frage, wie wir direkt Einfluss auf die Spannung in unserem Leben nehmen können. Und das ist eine Hoffnung, die viele Menschen haben.

Das ist auch eine Hoffnung, die Menschen mit Seminaren, Coaching und Therapie verbinden. Wenn ich am Anfang Erwartungen und Wünsche abfrage, dann hoffen viele, dass ich irgendwelche Tipps und Tricks mitbringe, mit denen sie ihren Stress in den Griff bekommen und sich besser entspannen können.

Und früher bin ich dann gleich angesprungen. Und dann war ich gleich zu Beginn eines Seminars zum Thema Stressmanagement brutal gestresst.

Weil ich dachte dann: Okay, ich brauch jetzt hier meine Kiste mit den ganzen Zaubermitteln, die ich auf die Leute abfeuern kann. Und dann geht es den Leuten besser. Dann bin ich der tolle Zauberer. Und die Leute sind die glücklichen Empfänger meiner Heilmittel und Zaubermittel.

Bis ich irgendwann gemerkt habe, dass das so nicht funktioniert. Und das ging ziemlich schnell…

Wenn es um diese Zaubermittel geht, dann geht es um kurzfristige Interventionen, die wir nutzen können, um unsere Spannung zu regulieren und das ist schön, dass es die gibt.

Zaubermittel sind Möglichkeiten, direkten Einfluss auf unseren Stress zu nehmen. Das heißt, wir ergreifen irgendwelche Initiativen, die uns ermöglichen unser Stressniveau im Moment selbst zu regulieren. Und das machen wir alle die ganze Zeit.

Und manchmal wählen wir Mittel, die kurzfristig zwar okay sind, uns aber langfristig schaden. Das sind all jene Mittel und auch Aktivitäten, die die Gefahr von Sucht in sich bergen. Man könnte sagen, dass uns das Suchtphänomen darauf verweist, dass wir glauben wir könnten mit Zaubermitteln und Zauberaktivitäten den Stress in unserem Leben regeln.

Dabei ist es eigentlich egal, ob wir auf Alkohol zugreifen, auf THC oder auf Kohlenhydrate, oder was auch immer wir nutzen, um unser Spannungsniveau schnell und situativ zu regulieren. Sucht entsteht vermutlich dann, wenn wir entschlossen der Überzeugung folgen, diese Mittel wären ausreichend und adäquat, um unser Spannungsniveau zu managen.

Doch dabei übersehen wir eine Sache: nämlich das, wofür diese Zaubermittel in erster Linie und quasi exklusiv da sind. Diese Zaubermittel sind da, um uns situativ Entlastung zu ermöglichen und Spielräume zu eröffnen,

• auf dass wir genauer und differenziert hinschauen können, auf dass wir die Lern- und Entwicklungseinladungen wahrnehmen,
• und diese Einladungen ernstnehmen, indem wir dazu lernen und uns weiterentwickeln
• und unser Leben selbstverantwortlich und selbstbestimmt gestalten
• Das heißt die Zaubermittel sind weniger dazu da, unser Spannungsniveau dauerhaft zu regulieren, sondern sie sind dafür da, uns in eine Verfassung zu verhelfen, die uns das eben genannte ermöglicht.

Besonders gefährlich für unsere Gesundheit, aber auch für unser Stressmanagement ist es, wenn wir Mittel kurzfristiger Entlastung für dauerhafte Wirkungen einspannen und dabei solche Mittel nutzen, die wir ohne große Anstrengung konsumieren können.

Wir verarschen uns selbst. Wir versuchen auch, unseren Organismus zu verarschen. Aber der ist fundamental klug, schlau und weise.

Andere Zaubermittel haben im Fundus des Stressmanagement wichtige Bedeutung. Dazu gehören Meditation und Achtsamkeit sowie Entspannungsmethoden, situative Entlastungsstrategien und körperliche Aktivität.

Diese Zugänge ermöglichen zwar auch situative Entlastung. Wenn wir sie moderat nutzen, dann haben sie darüber hinaus aber auch weiterführende Bedeutung für unser Wohlbefinden insgesamt.

Unser Organismus fühlt sich wohl, wenn wir uns bewegen. Das ist ein vitales Bedürfnis unseres Organismus. Und wenn wir das tun, dann werden wir belohnt mit größerer Gelassenheit und einem grundlegenden Wohlbefinden.

Meditation und Achtsamkeit können uns helfen, ein Gefühl bedingungsloser Verbundenheit und Geborgenheit im Leben zu kultivieren. Und das ist etwas, nach dem wir und existenziell und grundlegend sehnen.

Entspannungsmethoden und auch Auszeiten, die wir uns nehmen, haben große Bedeutung, wenn es darum geht zu regenerieren, aber auch zuvor genannte Spielräume zu schaffen.

Wenn wir uns Zaubermittel erschließen, dann können wir sie nutzen, um in zugespitzten Situationen zu deeskalieren. Ausgehend von dieser Fähigkeit in zugespitzten Situationen hohe oder höhere Spannungsniveaus effektiv zu regulieren, können wir auch eine grundlegende Lern und Entwicklungsfreude in unserem Leben zurückerobern.

Dadurch, dass wir weniger Angst haben müssen, durch Fehler in ausweglose Situationen zu kommen oder in Situationen, die uns emotional überfordern, können wir uns auf einmal etwas zumuten. Sobald wir über die entsprechenden Fähigkeiten oder Mittel verfügen, unsere Spannung zu regulieren, können wir uns auch in Bereiche vorwagen, die sich erst einmal unbequem anfühlen und die uns ursprünglich vielleicht verunsichert haben, weil wir aufgrund hoher Spannungslevel in emotionale Not geraten sind.

Wenn wir uns entspannen können, dann können wir uns auch auf Spannung einlassen.

Und das ist etwas Positives an den Zaubermitteln: sie können uns helfen, unsere grundlegende Verweigerung und Feindseligkeit gegenüber Stress und Spannungszuständen unseres Organismus in eine Richtung zu verändern, die gesund ist.

Wir werden spannungstoleranter und stressresistenter. Das ist eine Grundvoraussetzung, auch mit haarsträubenden Situationen klarzukommen oder moderner formuliert: Resilienz zu entwickeln.

Und dann können wir vielleicht anerkennen, wie wichtig Spannung eigentlich ist und welche grundlegende Rolle dieser Fähigkeit, Spannung zuzulassen zukommt, wenn es um unsere Entwicklung und unser Glück geht.

Höhere Spannungsniveaus sind im Leben ebenso wichtig wie es auch im im Sport und in der Fitness wichtig ist, ab und zu die Herzfrequenz zu steigern und das Herz Kreislauf System stärker zu fordern. Das ist ja die Grundlage des High Intensity Interval Trainings.

Ebenso wie wir dort mit kurzfristiger Belastung positive Effekte nachhaltiger Natur hervorbringen, ist es auch mit Stress und Spannung. Erst, wenn wir wir über Zaubermittel verfügen, mit denen wir Spannung schnell regulieren können, können wir uns auf solche “gefährlichen” oder anspruchsvolleren Situationen einlassen.

Zaubermittel, die Fähigkeit und Möglichkeit, unsere Spannung kurzfristig zu regulieren, sind von entscheidender Wichtigkeit. Das konnte ich hoffentlich verdeutlichen. Aber diese kurzfristigen Interventionen führen in eine ungesunde Eskalation und unterminieren sowohl unser Glück, als auch unsere Fähigkeit, effektiv mit Anspannung umzugehen, wenn wir alles auf diese Karte setzen, wenn wir diese zu intensiv benutzen.

Wenn wir die kurzfristigen Taktiken für langfristige Wirkungen einspannen, dann unterminieren wir damit unsere Fähigkeit, unser Leben zu bewältigen und zu gestalten.

Spätestens wenn wir unsere Lebensbewältigung unterminieren und mit den entsprechenden Konsequenzen konfrontiert werden, kommt jene zweite Ebene des Stressmanagements ins Spiel, um die wir uns alle am liebsten herumdrücken würden. Und wir können noch nicht einmal etwas dafür. Unser Organismus macht uns das Leben schwer.

Aber genau dafür, um unserem Organismus auf die Sprünge zu helfen, erschließen wir die kurzfristigen Strategien. Und dann geht es um die Hauptdisziplin des Stressmanagements: unser Leben gestalten.