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Wir sind zu einem glücklichen Leben verdammt. Doch mit unserem ängstlichen Gerenne und unserer gierigen Glückssuche verstellen wir uns den Blick auf diese grundlegende und ganz einfache menschliche Wirklichkeit. Wir wenden uns nicht dem Wesentlichen zu, sondern lauern auf Rettung und Glück an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit. Wir kokettieren mit spirituellen Wegen, religiösen Bräuchen und weltlichen Visionen und führen uns selbst dabei an der Nase herum.

Was treiben wir da eigentlich die ganze Zeit? Wir suchen Glück und Heimat einerseits auf dem äußeren Weg über Konsum auf allen Ebenen, über intensive Beziehungen und materielle Sicherheit. Wir suchen Erfüllung und Geborgenheit andererseits auf spirituell-philosophischen Wegen und den zugehörigen Theorien, Ritualen und Gemeinschaften.

Wir zittern und zappeln so vor uns hin, mit unserem Bemühen, etwas Beständiges im einen wie im anderen Bereich auf die Beine zu stellen, während der ganze Kosmos um uns und in uns heiter und lebendig wankt. Wir ahnen, dass die Erfolgsaussichten, auf dem äußeren Weg zu nachhaltigen Lösungen zu kommen, gering sind. Weigern uns gleichzeitig, den kompromisslosen und radikalen Einladungen eines wahrhaftigen „inneren“ Lebens zu folgen, egal ob es sich hierbei um den Weg des Yogis, des Mystikers, des Sufis, des Künstlers oder irgendeines anderen handelt.

Denn diese Einladungen zwingen uns, über behütende Strukturen, konforme Umgangsformen und bürgerlich vertretbare Lebensentscheidungen hinauszugehen und das wollen wir nicht. Wir hangeln uns von Identitätsstrohhalm zu Identitätsstrohhalm, weltlich und religiös, und fürchten uns vor dem Untergang, der uns nicht nur gewiss ist, sondern der sich in jedem Augenblick vollzieht. Wir jammern über die Unsicherheit des modernen Lebens und die Geschwindigkeit mit der sich Veränderungen vollziehen.

Wir könnten in alledem doch unsere existenzielle Gefährdung, also die fundamentale Unbeständigkeit unserer Existenz, dankbar anerkennen und das beste aus dem einzigen machen, das wir zur Verfügung haben, aus diesem gegenwärtigen Augenblick. Wir könnten uns regelrecht freuen über eine Situation, die uns wach rüttelt und uns andauernd mit der existenziellen Dimension unseres Hierseins in Berührung bringt.

Wir könnten anerkennen, dass wir das Schwungrad vermeintlicher Entwicklung mit unserem Gerenne konsequent in Gang halten und beschleunigen. Könnten anerkennen, dass wir die Eskalation vorwärts treiben, den individuellen wie kollektiven Zusammenbruch im absurden Versuch vorbereiten, uns selbst und unserer Lebendigkeit zu entkommen. Wir könnten erkennen und akzeptieren, dass es nichts gibt, das wir irgendwie fassen, festhalten und über den gegenwärtigen Augenblick hinweg retten können.

Wir laufen lieber den hell leuchtenden Irrlichtern zukünftigen Glücks hinterher und damit vor der wesentlichen Einladung dieses Augenblicks davon. Mit jeder existenziellen Lüge und jedem Verrat an der Gegenwart schaufeln wir das Grab für unsere Lebensfreude und Lebendigkeit. In unserem vermeintlichen Streben nach Erfolg, oberflächlicher Harmonie und spirituellen Wohlgefühlen strampeln wir fleißig, weil wir uns vor dem fürchten was in der Ruhe auf uns wartet.

Wir wissen nicht, wie wir mit den ganzen Geschichten, Emotionen und Blockaden umgehen sollen, die wir mit unserer Lebensverweigerung konsequent kultivieren. Glauben, wir wären der emotionalen Wucht, die in unserem Innern auf uns lauert nicht gewachsen.

Ahnen wahrscheinlich noch nicht einmal, welche inneren Phänomene und welche Dynamik unserer ganzen aggressiv aufgeladenen Alltagswirklichkeit, unserem gnadenlosen Gerenne und unserer manisch-depressiven Lebensgestaltung zugrunde liegen. Wir rennen vor uns und dem Leben in uns davon, weil wir gelernt haben, uns abzuwenden und davon zu laufen, wenn es schmerzhaft wird.

Weil uns niemand beigebracht hat, dass es auch existenzielle Wachstumsschmerzen gibt, die ein gutes und gesundes Zeichen unserer Lebendigkeit sind und Zeugnis davon ablegen, dass wir uns von Altlasten befreien, zu uns kommen und tiefer in die Mitte unserer Existenz gelangen.

Diejenigen, die uns in dieser Hinsicht etwas beibringen könnten haben wir abgeschrieben. Weil wir uns schwer tun, zwischen Scharlatanen und den wirklich Hilfreichen zu differenzieren.

Wir verweigern uns nicht nur jenen, die manipulativ mit allgemeinen Regeln operieren und dabei Individualität und Vielfalt leugnen, wir erteilen nicht nur jenen eine Absage, die mit Wahrheitsansprüchen und Definitionsgewalt operieren, wir wenden uns nicht nur von jenen ab, die sich anmaßen, Auserwählte zu sein, die mit Gottes Stimme sprechen, so als wären wir nicht alle Auserwählte, nein, wir verweigern uns allen Kündern eines wesentlichen Lebens, erklären jede Form der Unterstützung und Anregung für falsch und irreführend und legen die ganze Auseinandersetzung mit den existenziellen Fragen überdrüssig und ohnmächtig auf Eis.

Wir ahnen nicht einmal mehr, was auf uns wartet, wenn wir uns dieser inneren Arbeit der Heilung und Transformation zuwenden. Wir glauben nicht mehr an die innere Alchemie, die jedes echte Problem und jede existenzielle Herausforderung, die wir annehmen in reine Lebensfreude verwandelt.

Kennen die Geschichten, Märchen und Mythen nicht mehr (vielleicht noch deren Disney- und Hollywood-Abklatsch), die metaphorische Verweise auf göttliche Tore und Schlüssel zu einem wahrhaft erfüllten, menschlichen Leben sind.

Glauben nicht mehr an die Mythen der großen Weisheitsbücher, weil sie so oft missbraucht und im Interesse bestimmter Gruppierungen ausgelegt wurden.

Wir schütten das Kind mit dem Bade aus und ahnen kaum noch etwas von der göttlichen Melodie in uns, die wir doch hören und zu der wir tanzen sollen.

Wir machen lieber Lärm mit unserem Gebrüll, unserem Gezappel, unseren Übungen, unseren Versammlungen und Ritualen, wo wir eingeladen sind, ganz eigene Lieder zu singen, die noch nie ein Mensch gehört hat, wo wir eingeladen sind, unsere Form zu finden und dieser Ausdruck zu verleihen.

In unserer Rennerei wählen wir ganz unterschiedliche Wege: mal äußere, mal innere, mal traditionelle, mal exotische. Und es ist okay, dass wir rennen, denn wir erschöpfen uns sowieso früher oder später. Neuhochdeutsch: Burnout-Syndrom.

Auf allen Wegen werden wir eingeladen, tiefer in unsere Mitte zu kommen, in dem wir äußere Sicherheiten loslassen und uns der Bewegung des Lebens anvertrauen. Im äußeren Leben erleiden wir Verluste, Niederlagen und gesundheitliche Einbrüche. Im inneren landen wir in heißen Wüsten, dichtem Dschungel und düsteren Spukgemächern.

Einladungen, die wir ausschlagen, kommen beim nächsten Mal zugespitzter und bedrängender zurück. Solange bis unser Widerstand zusammenbricht und wir beweglicher werden. Wir können nicht da bleiben, wo wir uns einrichten wollen. Das Leben lässt uns nicht in Ruhe. Wir können auch nicht in die Fußstapfen eines anderen treten und einer sicheren Spur folgen. Wir müssen unseren eigenen Weg bahnen.

Die breiten religiösen Zugänge führen mit sicheren Leitplanken am Anfang irgendwann auf engere und ungeschützte spirituelle Pfade, welcher Tradition auch immer. Manch einer landet ohne jedes religiöse oder mystische Vorgeplänkel direkt auf dem Grat, über welchen jeder Lebensweg irgendwann läuft.

Schlussendlich stehen wir alle vor dem gefühlten Abgrund, an welchem keiner mehr unser Händchen halten, mit Rat oder Trost aus der bedrohlich glücklichen Patsche helfen kann, während das Leben hypnotisch und unwiderstehlich ruft: “Spring! Vertrau mir! Es ist ganz anders, millionenfach schöner und heilsamer als du denkst!”

Unsere Motivation, dieses tiefe Brennen, diese unstillbare Sehnsucht, die uns rennen lässt ist echt. Diese Kraft, die uns zieht und schiebt, ist das Leben in uns, das zu sich selbst kommen will. Wir aber halten es mit uns selbst nicht aus und wollen die Wahrheiten, die am Ursprung unserer Sehnsucht liegen nicht sehen. Wir wollen nicht anerkennen, dass

  • alles was uns umgibt unbeständig ist.
  • wir uns selbst und die Wirklichkeit nicht zu fassen kriegen.
  • wir vollkommen abhängig sind von allem, was uns umgibt.
  • unser Leben im nächsten Augenblick vorüber sein könnte.
  • wir voller negativer Glaubenssätze, innerer Blockaden und tiefsitzender Verspannungen stecken, die uns am Leben hindern.
  • das Leben Recht hat und wir uns irren, wo wir unsere Geschichten für wahrer halten als das, was uns das Leben erzählt.
  • die gegenwärtige Situation alles bietet, was wir für ein erfülltes und gelassenes Leben brauchen.

Wir wollen unseren Selbsthass, unseren Selbstverrat, unsere Trauer, unsere Wut und unsere Angst nicht spüren. Wir wollen uns selbst weiter im Stich lassen, weil uns all diese Wahrheiten über uns so fatal erscheinen.

Wir wenden uns ab, um nichts mehr spüren zu müssen und rennen wie die Verrückten durch die Welt auf der Suche nach Sinn, Erfüllung und Glück. Wir wollen so gerne eine Heimat finden, einen Ort, an dem wir bleiben und zur Ruhe kommen können. Einen Ort, an welchem all die oben genannten existenziellen Wahrheiten außer Kraft gesetzt sind.

Wir sind bereit Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um einen solchen Ort zu finden und an einem solchen Ort bleiben zu können. Manchmal verlegen wir diesen “Ort” in irgendeine religiöse Tradition, vertraut oder exotisch, in irgendeine Umgebung, einfach oder luxuriös oder in die vertrauten Gemeinschaft mit anderen Menschen, harmonisch oder fordernd.

Doch was auch immer Sie versuchen, wie sehr Sie mit dieser Wahrheit und Wirklichkeit hadern: Diesen Ort gibt es nicht und kann es nicht geben! Und egal, ob Sie auf traditionellen religiösen Wegen Heimat, auf exotischen spirituellen Pfaden Erleuchtung oder auf weltlichen Wegen Sicherheit und Komfort suchen: Das Leben führt Sie früher oder später immer auf diesen schmalen Grat und hin zum vermeintlichen Abgrund, an welchem es kein zurück mehr gibt.

Je schneller Sie sich in dieses, Ihr menschliches Schicksal fügen, umso schneller tragen Sie zum Frieden, zur Menschlichkeit und zu einem heilsamen Umgang mit Dingen und unserer natürlichen Umwelt bei.

Wie das funktionieren soll? Ob wir Glück, Erfüllung und Ruhe nach diesen Ausführungen überhaupt finden können? Ob Religion dadurch obsolet oder hoch relevant wird? Davon mehr im letzten Artikel dieser Serie.

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Mista Lazy Moe

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