Seit eineinhalb Stunden sitzen Sie in Ihrem Büro – der Schaltzentrale Ihrer Mission. Was ursprünglich mit Engagement und Enthusiasmus begann ist irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Sie hatten damit begonnen, ein Konzept zu entwickeln, einen Artikel zu schreiben oder sich Gedanken darüber zu machen, wie Sie die Nutzerfreundlichkeit Ihrer Webseite verbessern könnten. Sie hatten sich einer komplexen Aufgabe zugewandt, die Ihre volle Aufmerksamkeit benötigt, doch jetzt fühlen Sie sich gelähmt und wissen nicht weiter.
Kennen Sie das? Der Kopf raucht. Komische Gefühle breiten sich aus. Sie möchten am liebsten die Flucht ergreifen oder etwas Kleines, wenig Kostspieliges kaputt machen. Stattdessen schleichen Sie geduckt zum Kaffeevollautomaten oder machen virtuelle Ausflüge zur Social Media Webseite. Ist doch auch Arbeit irgendwie.
Es gibt elaborierte Möglichkeiten, unsere kreativen Blockaden zu erklären. Vielleicht erklären wir uns unser Stocken mit widersprüchlichen Zielen, mit gefühlter Entmündigung, mit unklaren Anweisungen oder mit der Größe der gegebenen Anforderung. Und vielleicht haben wir mit einer oder einer Schnittmenge dieser Erklärungen sogar Recht. Immer aber haben wir es mit einer wenig überschaubaren emotionalen und intellektuellen Komplexität zu tun.
Statt diese Komplexität anzuerkennen und ihr angemessen zu begegnen, wollen wir diese heldenhaft nebenbei bewältigen, während wir pseudofleißig im Kreis herum wursteln bis nichts mehr geht. Spätestens dann beginnt das große Wandern oder das Dösen bei offenen, den Kollegen als waches Blendwerk hingehaltenen Augen. Und zum ursprünglichen Gefühl des Versagens und der Überforderung gesellt sich ein naher Verwandter: das schlechte Gewissen.
Ein großes Maß an Lähmung, der Mühsal und der Frustration beim Arbeiten (zuhause wie im Büro) wird durch unseren Umgang mit unseren Blockaden verursacht. Wir fühlen uns in einem Sumpf, den wir vor uns selbst und anderen verstecken wollen. Und fangen dann an, an anderer Stelle zu zündeln – vermeintlich, um das düstere Feuchtgebiet trockenzulegen, meist aber um davon abzulenken. Dabei verlieren wir unsere wesentlichen Anliegen aus den Augen und versperren uns den Weg zu Erfolgserlebnissen, Selbstwirksamkeits- und Flowerfahrungen. Wir verlieren die Orientierung in einer beißenden Mischung aus Nebel und Rauch und versuchen kraftlos, der schleichend um sich greifenden Eskalation zu entkommen.
Aber es gibt noch eine weitere Möglichkeit, unsere Blockade zu erklären: mit mangelnder Planung. In der Folge gibt es eine weitere Möglichkeit, damit umzugehen: eine Blockade als perfekter Anlass, um mit Stift und Papier, Computer-Mindmap oder Gantt-Chart in eine kurze oder lange Planungssequenz einzusteigen und Ordnung zu schaffen. Manchmal haben wir es dann mit einer edleren Form des blinden Aktivismus zu tun.
Zielformulierungen werden auf Wohlgeformtheit getestet. Aufwandsschätzungen werden überprüft und korrigiert. Aufgaben werden auf Abhängigkeiten hin analysiert und neu miteinander verknüpft. Es wird priorisiert. Meilensteine werden gesetzt. Und das Ergebnis unserer Überlegungen findet Eingang in eine professionelle Projektmanagementsoftware oder in andere Planungsmedien. Am Ende des Tages haben wir lange Aufgabenlisten, schöne Diagramme und markante Kalendereinträge, die uns das Gefühl vermitteln, wir hätten tatsächlich irgendetwas Wesentliches zustande gebracht.
In Wirklichkeit haben wir Zeit verbrannt. Statt im Sumpf der Ohmacht stecken zu bleiben, haben wir uns ins andere Extrem hinein bewegt: in die schwindelnden (im doppelten Sinne) Höhen der Möglichkeiten.
Ich möchte Ihnen einen alternativen Pfad anbieten. Statt untätig im Sumpf herumzurasen oder sich in luftigen Höhen strukturierter Planung zu verlieren lade ich Sie ein, einen Schritt zurückzutreten. Ziehen Sie sich münchhausengleich am eigenen Schopfe aus Ihrer gewohnten Art zu funktionieren. Stellen Sie sich ein paar ganz andere, vielleicht triviale, vielleicht wesentliche Fragen:
- Schätzen Sie die Situation und Ihre Fähigkeiten richtig ein? Haben Sie das Gefühl, der Komplexität und dem Umfang der gegenwärtigen Anforderungen nicht gewachsen zu sein, weil Sie sich tief im Innern für unfähig und wenig leistungsfähig halten? Falls ja: Sind Sie das wirklich? Können Sie absolut sicher sein, dass Sie das sind? Wie wäre es, diesen Glaubenssatz sorgfältig zu hinterfragen und dabei vielleicht zu neuen Einschätzungen zu kommen? Könnten Sie der gegenwärtigen Anforderung vielleicht genau dadurch gerecht werden, dass Sie hemdsärmelig hineinspringen und das Krokodil mit bloßen Händen fangen? Könnten Sie sich dadurch am Ende vielleicht sogar als wilder Produktivitätsheld entpuppen und feiern (lassen), statt sich die Laune mit Zögerlichkeit oder Planungsorgien noch weiter zu verderben?
- Halten Sie sich selbst für einen intelligenten und kreativen Überflieger, der sich immer am äußersten Ende der Leistungsskala bewegen muss? Falls ja: Sind Sie das wirklich? Können Sie absolut sicher sein, dass Sie das sind? Wie wäre es, diesen Glaubenssatz sorgfältig zu hinterfragen und dabei vielleicht zu neuen Einschätzungen zu kommen ? Wäre es vielleicht an der Zeit, ihren Leistungsanspruch etwas herunterzuschrauben, Ihre Selbstüberhöhung aufzugeben und sich ein bisschen weniger vorzunehmen? Könnte es sein, dass Sie dadurch produktiver und gelassener würden?
- Wollen Sie in eine Planungsrunde starten, weil Sie sich gerne in Konzeption und Strukturierungsbemühungen flüchten, um dem ungemütlichen, unvorhersehbaren sowie unüberblickbaren Terrain des tatsächlichen Handelns fernzubleiben? Ist das eine gute Strategie, die zu den Anforderungen Ihrer Stelle, Ihrer Organisation und Ihrer gegenwärtigen Mission passt? Sind Sie ein Ordnungsfetischist und erleben beim Planen, Konzepten und Strukturieren quasi-erotische Gefühle? Sind Sie vielleicht ein verkappter Projektmanager oder Schriftsteller und sollten Ihre Berufung endlich mal etwas ernster nehmen?
- Sind Sie vielleicht einfach nur müde, verkatert oder fliegen Sie aus anderen aktuellen Gründen etwas tiefer? Ist weiteres Wursteln oder eine Analyse der gegenwärtigen Anforderungen in diesem Fall eine gute Strategie, um wieder in Schwung zu kommen? Oder haben Sie die Möglichkeit, sich irgendwo mal schnell aufs Ohr zu hauen? Gibt es irgendwo einen starken Kaffee, etwas Zuckerhaltiges oder andere legale Dynamisierer? Oder brauchen Sie vielleicht eine richtige und längere Auszeit, weil Sie schon seit Jahren wie ein Wilder in der Gegend herumrennen und kaum noch wissen, wohin die Reise geht?
- Halten Sie die gegenwärtige Anforderung sowieso für absurd? Können Sie daran im gegenwärtigen Kontext etwas ändern, indem Sie Ihre Einstellung modellieren oder mit dem Verantwortlichen (z.B. Vorgesetzter oder Kunde) sprechen? Ist der Verantwortliche ein hoffnungsloser Autokrat? Wird es Zeit, dass Sie lernen, mit Autokraten im Sinne übergeordneter Ziele selbstbewusster zu kommunizieren? Oder täten Sie besser daran, sich krankschreiben zu lassen und sich eine neue Arbeit dort zu suchen, wo Ihre Selbststeuerungskompetenz, Ihr Verantwortungsbewusstsein und Ihre Intelligenz gefragt sind? Oder noch wilder: Täten Sie besser daran, selbst ein Unternehmen oder eine Organisation zu gründen?
- Wird es vielleicht Zeit, Ihr existenzielles Timing zu verbessern?
Das sind nur einige Fragen, denen Sie nachgehen können. Welche Fragen fallen Ihnen ein?
Effektive und lebendige Planung ist eine wesentliche Fertigkeit, die wir brauchen, um unsere Mission zu boosten. Die andere besteht darin, mutig und entschlossen anstehende Aufgaben zu erledigen. Aber es gibt noch ein dritte, die wir kultivieren müssen, wenn wir auf Dauer produktiver, glücklicher und gelassener leben wollen:
Wir müssen lernen, einen großen Schritt zurückzutreten. Raus aus unserer gewohnten Art zu funktionieren. Raus aus den vermeintlichen und tatsächlichen Pflichten unseres Alltags. Raus aus den unterschiedlichen Dynamiken und Verhaltensmustern im Zwischenmenschlichen und im Beruf.
Manchmal müssen wir uns Zeit nehmen und Raum schaffen, damit wir über die größeren Zusammenhänge, über die ganz konkreten und persönlichen Fragestellungen sowie die scheinbar trivialen Bedingungen unseres Lebens nachdenken können. So gesehen sind Blockaden und Ohnmachtsgefühle in Wirklichkeit göttliche Geschenke: unausweichliche Gelegenheiten, die uns zwingen, unser intellektuelles und operatives Gezappel einzustellen und zur Ruhe zu kommen.
Ich behaupte, dass wir unsere Blockaden und unsere vermeintliche Aufschieberitis als Gelegenheiten nutzen sollen, um uns auf uns selbst und auf die wesentlichen Aspekte unseres Lebens zu besinnen. Wir sollen unsere Blockaden als Türen zu einem anderen, zu einem erfüllenden und leichten Leben erkennen und nutzen. Wenn wir das tun, indem wir beschränkende Glaubenssätze auflösen, die Spur des Wesentlichen aufnehmen und dieser folgen, dann werden sich diese Blockaden nach und nach auflösen und wir finden immer tiefer in den natürlichen Flow, der unendlich viele Namen hat.
Nutzen Sie Ihre Blockaden! Schätzen Sie Ihre vermeintliche Unproduktivität! Und folgen Sie dem Wesentlichen in jedem Augenblick!