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Wenn Sie den Artikel “Das Geschenk produktiver Ohnmacht” gelesen haben, dann können Sie sich an die Ausgangssituation erinnern. Dort saßen Sie seit eineinhalb Stunden in Ihrem Büro, der Schaltzentrale Ihrer Mission, und hatten irgendeine anspruchsvolle Arbeit mit Engagement und Enthusiasmus begonnen, bevor dann irgendwann alles aus dem Ruder lief.

Diesmal geht es um eine ganz ähnliche Situation, nur diesmal haben Sie überhaupt nicht mit der Arbeit begonnen. Und es geht nicht um irgendeine abstrakte und anspruchsvolle Tätigkeit, sondern darum, etwas zu schreiben. Vielleicht wollen Sie einen wichtigen Brief an Ihre Kunden schreiben. Vielleicht wollen Sie den Text für den Flyer Ihrer neuesten Kampagne verfassen. Vielleicht wollen Sie das Buch schreiben, welches Ihnen endlich den Durchbruch in Ihrer einzigartigen Nische verschaffen soll.

Sie würden gerne etwas Sinnvolles und Produktives schaffen, aber Sie stecken heillos fest in einem umnebelten Kettenkarussell, das von Ihren wilden Gedanken und diffusen Emotionen im Kreis herum getrieben wird. „Schreibblockade“ heißt das in der Fachsprache und hier folgt eine mögliche Kur. Vor drei Tagen ging es mir genau so. Ich saß in meinem Büro und wollte meine Zeit nutzen, um mich an die nächsten Blogbeiträge und die nächsten Workshopteile heranzumachen. Aber ich saß mitten im Dunst unschöner Gefühle und unstrukturiert tobender Gedanken. Was konnte ich tun?

  • Ich musste annehmen was war. Ich kam nicht vom Fleck, solange ich mir meine miese Stimmung und meine Blockade nicht eingestand. Ich steckte fest, solange ich nicht akzeptierte, dass ich mit meinen Bemühungen strauchelte, wo ich viel lieber ein produktives Schreibgenie gewesen wäre. Und ich kam nicht vom Fleck, wenn ich mich auf wenig spezifische Weise unter Druck setzte (nach dem Motto: “Du musst jetzt irgendetwas zustande bringen, egal wie!”), an meinen unscharf formulierten Zielen festhielt und versuchte, mit dem Kopf durch die Wand zu kommen.
  • Ich musste mich fragen, ob das, was ich mir da vorgenommen hatte überhaupt dran war. Ich musste mich also um mein existenzielles Timing kümmern. Ich versuchte vielleicht, Inspiration und Kreativität im falschen Moment und mit groben Mittel in meinen Dienst zu zwingen, welche sich allenfalls bitten lassen und so lange launenhafte Gefährtinnen bleiben, bis wir diesen mit Methodik, Prozessen und Struktur einen angemessenen Rahmen schaffen.
  • Ich musste mich mit meinen Reflexionsgewohnheiten auseinandersetzen. Vielleicht hätte ich einen Gesprächspartner gebraucht, aber es war gerade niemand da. Vielleicht hätte ich mit dem Laptop oder besser, mit einem Notizblock raus in die Natur gehen sollen, aber es regnete gerade. Vielleicht hätte ich ein Buch aufschlagen sollen, um erste Gedanken und Anregungen zu finden, aber auf diese Idee kam ich nicht und selbst wenn, wäre ein geeignetes Buch nicht zur Hand gewesen.

Das waren erste Ansätze, aber damit kam ich meiner schwer zu ertragenden Situation noch nicht bei. Ich musste die Analyse noch ein bisschen weiter treiben… Was trieb ich eigentlich? Ich hatte ein Ziel oder besser mehrere. Ich wollte zwei Blogbeiträge schreiben:

  1. Den letzten in der Artikelserie “Brauchen wir Religion?”. Das Ergebnis finden Sie hier: Religion spielt (k)eine Rolle
  2. Und einen Artikel, der zum Thema “Existenzielles Lernen und Reflektieren” passt. Das Ergebnis ist dieser Artikel.

Außerdem wollte ich den nächsten Workshopteil angehen. Aber selbst wenn das Ziel klar war, der Weg dorthin war es noch lange nicht. Eine Grundsituation beim kreativen Arbeiten, der wir immer wieder begegnen. Wir kennen die ungefähre Richtung, wissen, in welchen Kontext wir das Ergebnis unseres gegenwärtigen Schaffens einbetten wollen, aber wissen nicht so genau, wo wir am Ende der Reise herauskommen werden.

Aber das ist noch nicht alles: Wir wissen darüber hinaus, dass wir uns selbst auf dieser kleinen Reise wieder ein bisschen verändern werden und auch der gesamte Kontext, in welchem wir handeln, wird sich durch diesen neuen kreativen Akt verändern. Diese Aussicht auf Veränderung, diese mit unserem Handeln heraufbeschworene Unruhe und die damit einhergehenden Ungewissheiten fühlen sich oft bedrohlich an, machen uns unsere wesentlichen Ziele madig und stehen am Ursprung unterschiedlicher kreativer Blockaden. Aber ich wusste doch, was ich tun konnte, um mich dieser Reise ins Unbekannte zu stellen! Schließlich hatte ich das oft genug zuvor getan und war doch Experte auf dem Gebiet kreativer Umwälzungen.

Irgendwo in mir wusste ich sehr wohl, welche Strukturprinzipien ich anwenden konnte und hatte ein umfassendes Verständnis davon, wie sich kreative Prozesse ganz allgemein gestalten ließen – das war ja immerhin eine meiner wesentlichen Kompetenzen – doch das ganze Wissen half mir in diesem Fall kaum weiter. Ich war innerlich abgeschnitten von diesem Wissen und steckte tief in einer negativen emotionalen Dynamik, die, zu meiner eigenen Entrüstung aus heutiger Sicht, Zerstörung wahrscheinlicher machte als Kreation! Doch selbst, wenn ich großes Mitleid mit mir selbst hatte: mir lief die Zeit davon.

Ich hatte ein grobes Zeitfenster für die Grobkonzeption aller drei Texte eingeplant, um mich vor dem Zugriff der anderen anstehenden Aufgaben zu schützen. Ich stand also unter hoher Spannung, aber diese Spannung war nicht produktiv, sondern addierte sich nur zu meinem globalen Unwohlsein und machte die kreative Klemme noch enger. Kurzum: Ich war ein Gefangener meiner selbst und hatte keine Ahnung, wie ich mich aus dieser hässlichen Situation heraus manövrieren sollte.

All das ist glücklicherweise einige Tage her. Jetzt blicke ich als Geretteter und Erlöster zurück und stelle nüchtern fest, dass jeder dieser Punkte mehrere Ansatzmöglichkeiten bietet, um den kreativen Karren aus dem Sumpf zu ziehen. Für heute will ich mich dem letzten Punkt zuwenden, der Zeitnot, denn die Eingebung weckte mich mit einem kleinen Einfall aus meiner trüben Trance.Es gab eine unscheinbare und irgendwie paradoxe Möglichkeit, wie sich mein Reflexions- und Denkprozess in Gang bringen und dynamisieren ließ.

Wenn es zuviel Offenheit und Ungewissheit im kreativen Prozess gibt oder Grenzen zwar vorhanden, aber nicht mit konkreten Zielen verknüpft werden, dann kann sich keine produktive Spannung aufbauen. Es gibt dann nichts Fassbares, auf das wir hinarbeiten können, sondern wir befinden uns in einem schwerelosen Vakuum, das unsere Kraft und Ambition frei, aber unkontrolliert, um uns herumwabern lässt.

Es mag paradox und willkürlich erscheinen, doch wenn wir eine komplexe Anforderung mit einer zeitlichen Beschränkung versehen, dann bringen wir Dynamik und Relevanz in unser Handeln. Ein sinnvoller Trick, den wir jederzeit nutzen können, wenn wir feststecken. Eine zeitliche Begrenzung lässt uns selbst bei vagen Zielen und ohne ausgebuffte Strategie eine gesunde Spannung aufbauen, die uns kaum bis über die Ziellinie unserer kreativen Ambition tragen wird, wohl aber hilft, aus dem zähen und klebrigen Sumpf der Blockade zu entkommen. Jeder noch so kleine Schritt, welcher den Abstand zwischen unserem Handeln und diesem Sumpf vergrößert ist ein hilfreicher, gesunder und erwünschter.

In meiner Situation vor ein paar Tagen nutzte ich eine einfache Technik, die ich Ihnen gerne ans Herz legen möchte, wenn Sie sich irgendwann in einer ähnlichen Situation befinden sollten – auch und gerade dann, wenn Sie unter großem zeitlichem Druck stehen: ein Schreibsprint. Sie können ganz unterschiedliche Methoden wie Brainstorming und lösungsorientiertes Schreiben zugrunde legen oder mit einer Frage ganz offen an Ihr Schreibthema heran gehen. Was Sie beachten müssen:

  1. Sie müssen einen angemessenen Zeitraum für eine einzelne, konkrete Fragestellung festlegen.
  2. Sie müssen mit einer Stoppuhr, einem Küchen-Timer oder sonst einem Zeitmessgerät zur Tat schreiten.
  3. Sie müssen dann aufhören, wenn die festgesetzte Zeit um ist.

Zu Beginn spüren Sie noch die Sogkraft des emotionalen Sumpfes, aber die zeitliche Beschränkung wirkt auf magische Weise in die entgegengesetzte Richtung. Sie kommen in Gang, weil Sie Ihre ganze Kraft gezielt aufbringen, um Ihre Füße aus dem Sumpf zu ziehen. Manchmal bleiben dabei die Stiefel zurück und Sie gehen zwar barfuß, aber dafür bodenständig und erfrischt weiter. Sie werden Unterschiedliches in dieser festgesetzten Zeit erreichen:

  • Vielleicht verschaffen Sie sich einen Überblick über mögliche Inhalte.
  • Vielleicht schreiben Sie eine grobe Zusammenfassung des gesamten Textes.
  • Vielleicht entwickeln Sie eine erste, grobe Struktur.

Es sind “nur” Zwischenerzeugnisse, die Sie entwickeln (wie alle kreativen Produkte, in welchem Stadium wir sie auch immer aufgeben mögen, um Leonardo zu zitieren), doch diese bringen Ihr Gesamtprojekt deutlich nach vorne. Ausgehend von diesen können Sie zurück in einen gemächlicheren Modus wechseln und Ihre kreative Reise beschaulicher fortsetzen, denn Sie befinden sich jetzt auf trockenem Land.

Selbst, wenn Sie in der Lage sind, einige Sprints hintereinander hinzulegen, ist das selten sinnvoll und Sie brauchen andere Fortbewegungsarten und -strategien, damit Sie durchhalten und Ihre komplexen Projekte zu einem guten Abschluss bringen. Entwickeln Sie Ihren eigenen produktiven Rhythmus zwischen kreativen Sturmphasen, Zeiten intensiven Ausarbeitens und solchen für sorgfältiges Überarbeiten und den Feinschliff.

Wie viel Zeitnot tut gut? Bleibt noch die Frage, welcher zeitliche Umfang sinnvoll ist. In der Regel sollte ein Sprint nicht länger als fünf bis zehn Minuten dauern. Alles was darüber hinaus geht, lässt sich kaum noch als Sprint bezeichnen und es ist kaum möglich, über einen längeren Zeitraum mit hoher Dynamik sinnvollen kreativen Output zu generieren.

Um mich effektiv an die beiden aktuellen Blogbeiträge heranzupirschen, habe ich je sieben Minuten und für den Entwurf des letzten Workshopteils zehn Minuten veranschlagt. Für mich war das genau richtig, um erste Ansätze und eine grobe Richtung zu finden. Darüber hinaus habe ich dabei einmal mehr Anregungen für meine Selbstorganisation, meinen Schreibprozess und einen gesunden Umgang mit meinen Spannungsbedürfnissen gefunden, die ich bei nächster Gelegenheit mit Ihnen teilen werde.

Ergänzungen Andere Anregungen wie Sie Ihrer Aufschieberitis beikommen können finden Sie im Buch von Monica R. Basco “Schluss mit Prokrastinieren“. Aber nehmen Sie sich in acht: Die Autorin arbeitet mit vielen negativen Formulierungen, die mit ihrer Wirkung am angestrebten Ziel vorbeischießen können (zur Kunst gehirngerechter Formulierung in unterschiedlichen Formen der Kommunikation ein anderes mal). Und sie macht sich kaum Gedanken über existenzielle Fragestellungen, während sie dem Ziel entschlossenen Handelns allein mit wichtigen, aber doch beschränkten psychologischen und arbeitsorganisatorischen Mitteln beikommen möchte.

Zuletzt: Unser Glück hängt von der Qualität unserer Beziehungen ab und von unserer Fähigkeit, achtsam und genussvoll in der Gegenwart zu leben. Zu einem großen Teil aber auch davon, und das unterschätzen wir mit unserer ausgeprägten Freizeit-, Geselligkeits- und Konsumorientierung meist, dass wir effektiv und gelassen wesentliche Aufgaben erledigen. Werden Sie effektiver. Optimieren Sie Ihre Arbeitsprozesse.

Dann erreichen Sie mehr bei gleichem Aufwand oder das Gleiche mit weniger Aufwand. In der Folge werden Sie glücklicher, Ihre Beziehungen werden inspirierter und Ihr Leben wird leichter und erfüllender. Was machen Sie, wenn Sie im kreativen Sumpf versinken? Verfügen Sie über bewährte Rettungsstrategien? Haben Sie es schon einmal mit einem Sprint probiert und wenn ja, welche Erfahrungen haben Sie dabei gesammelt?

Mista Lazy Moe

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